Viele viele gute gute Beziehungen

Zur Frage, wie man sich selbst am besten managen kann, gesellt sich sehr schnell auch die Frage, wie man seine Beziehungen am besten managen kann, insbesondere, wenn es viele Beziehungen sind. Ardalan Ibrahim, Blogger, Philosoph und Coach kennt darauf eine Antwort, die er hier im ersten Gastbeitrag beantwortet:

Wie kann man viele Beziehungen, enge und gute Beziehungen managen?

Ich transformiere mal die Frage für mich: Um welche der unzähligen Probleme, die sich beim Versuch, VIELE Beziehungen GUT zu MANAGEN ergeben können, geht es genau?

Insbesondere stellt sich die Frage, was hier mit managen gemeint ist.

Zwei der vielen Probleme, die sich bei der Überforderung unserer natürlichen Beziehungsfähigkeit stellen, kenne ich aus eigenem Erleben nur zu gut:

1.) Unser Anspruch an die Quantität unserer Arbeit mit Menschen

Viele Beziehungen zu vielen, sehr unterschiedlichen Menschen aufbauen, ohne dabei anzufangen, deren unterschiedlichen Möglichkeiten, Probleme, Situationen, Vorerfahrungen und Erwartungen zu übersehen und zu übergehen. – Das habe ich in meinem Job als Jobcoach für Weiterbildungsträger täglich. Und ich erlebe es so:
Es ist ein Knochenjob, wenn man das länger als nur ein halbes Jahr macht. Offensiv könnte man sagen: Dafür sind wir Menschen, die mal in familiären Großgruppen durch die Savanne zogen, möglicherweise einfach nicht gemacht.

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Es kommt hier also zu dem, was man Deformation professionelle nennt und man spaltet einen Teil seiner natürlichen Persönlichkeit ab und wird stattdessen Profi. Das liest sich möglicherweise deutlich positiver als es von mir gemeint ist, denn mit dieser Abspaltung kommt es völlig unvermeidlich zu Verlusten in der Beziehungsqualität.
Menschen merken es sehr deutlich und reagieren auch sehr sensibel darauf, wenn sie nur gemanagt werden, oder wie es im Augenhöhe-Film an einer Stelle heißt:

„abgehandelt werden“. Wir alle kennen das: Der Lehrer, der Chef, der Bürokrat, der sich ganz offensichtlich nicht wirklich für uns interessiert, für den wird nur eine Nummer sind, ein Vorgang, etc.
Was erzählen wir solchen Menschen überhaupt darüber, was uns bewegt, was wir auch selber zur Lösung beitragen könnten, wo Verhandlungsspielräume und vor allem: Was unsere wahren Probleme bei der Sache sind?

Die Forderung ist also schnell erhoben: Wir sollten andere Menschen nie – wirklich niemals – managen. Stellt man sich aber mal auf die andere Seite (also die Seite, auf der ich als Jobcoach permanent arbeite), dann spürt man sehr schnell sehr deutlich, was das für eine Überforderung unseres Menschseins bedeutet.
Ich kann das versuchen, aber ich werde daran scheitern: Dass ich Einstellungen, die bei einem gut funktioniert haben, ohne Prüfung auf einen anderen übertrage – und dort wirken sie sich katastrophal aus.

Dass ich müde, unaufmerksam, durstig, zuwendungsbedürftig, anerkennungshungrig, zerstreut, etc. bin. Dass ich nur noch Routineinteraktionen habe und mich täglich die gleichen Schallplatten aufsagen höre.
Dass ich den anderen nicht mehr in seinen ganz ganz speziellen Besonderheiten wahrnehme und nicht mehr wirklich auf sie eingehe. Ja: Sollte ich alles nicht, wenn „man mit Menschen arbeitet“, bin ich aber oft.

Ob da „Supervision“ hilft?
Aus umfangreicher Erfahrung kann ich sagen: Wo die Situation in selbst permanente Überforderung erzeugt, hilft auch kein besserer Umgang mit der Situation. Es gibt da diese Selbstoptimierungsillusion, für die ich auch selbst sehr anfällig bin, die besagt, man könne mit allem umgehen lernen. Ich würde das heute Hybris nennen.
Wir als Menschen haben viele Grenzen. Und gerade in der Arbeit mit vielen Menschen und einem gewissen Anspruch an die Beziehungsqualität in dieser Arbeit tut man gut daran, sich strikt innerhalb dieser Grenzen aufzuhalten. Man tut sich damit selber gut. Und man tut denen deutlich besser, mit denen man da zusammenarbeitet.

Viel Theorie, kurzer praktischer Sinn: Ich habe über die Jahre begonnen, die Zahl der Menschen, mit denen ich pro Woche arbeite, strikt zu begrenzen. Diese Grenze ist völlig individuell, hat viel mit meiner Geworfenheit (= Persönlichkeit) zu tun und auch viel mit meiner jeweils aktuellen Lebenssituation.
Bei mir und meiner Arbeitsweise sieht sie so aus, dass ich niemals über einen längeren Zeitraum mehr als 3 Tage/Woche coache und an keinem Tag mehr als 8 Stunden. Damit erhalte ich mir meinen Spaß an meinen Kunden, meine Gesundheit und auch die Möglichkeit, meine Ansprüche an die (Beziehungs-)Qualität meiner Arbeit aufrechterhalten zu können.

Prüffrage für die eigene individuelle Arbeit-mit-Menschen-Belastungsgrenze könnte sein: „Nehme ich andere noch so wahr, dass jeder Mensch, mit dem ich arbeite, ein ganz eigener Kosmos, eine ganz eigene Welt ist?“ – Wenn nein: Sofort die Kundenanzahl reduzieren.

limit 1509374302Kommen wir nun zu dem Motiv, warum wir oft versucht sind, genau das nicht zu machen: Klammern wir mal Ängste-unterdrückende Arbeitssucht aus, übergroße Belastung durch den Mach-es-allen-Recht-Treiber aus der Transaktionsanalyse oder reine Peaks, bei besonders spannenden Projekten, die aber in sich endlich sind und dann vielleicht zur dauerhaften schlechten Gewohnheit verkommen sind. Das alles ausgeklammert bleibt ein Motiv: Geld.

Wir ballern uns mit Interaktionen und Kunden zu, weil wir sonst „zu wenig verdienen würden“. – Auf dieses Problem sind wiederum unzählige Antworten und Lösungen denkbar: Vom Routine-Zusatzjob, über die Hinterfragung des realen finanziellen Bedarfs (ist das zu wenig reiner Mindfuck?), Senkung der Ausgaben, Steigerung des Stundensatzes oder Wechsel der Projekte und Institutionen, für die man tätig ist und die einem keine geeigneten Rahmenbedingungen für gute Beziehungsarbeit mit Menschen zur Verfügung stellen.

Egal welche Lösungen wir wählen, wenn wir uns auf Dauer mehr Kunden zumuten, als wir so wie wir individuell sind ohne Verluste bei der Beziehungsqualität haben können, werden wir die Lust an dieser Arbeit zwangsläufig verlieren. Wir werden beginnen, auf unsere Kunden zu schimpfen, erst innerlich und still in Gedanken, aber bald auch gegenüber Freunden, Partnern und Kollegen. Allerspätestens an diesem Punkt sollte man sich meinen bisherigen Erfahrungen nach Gedanken über die Dunbar-Zahl und die eigene Menschlichkeit machen. – Nosce te ipsum.

2.) Unser Anspruch an die Qualität unserer Arbeit mit Menschen

Das zweite mir bekannte Problem im Zusammenhang gut mit vielen Menschen arbeiten betrifft die Frage, auf welcher Ebene ich mit Menschen arbeite. Also: Was will ich beim anderen genau adressieren.
Der Einfachheit halber reduziere ich mal die unendliche Komplexität auf zwei Möglichkeiten: Will ich nur die mentale Seite, den Kopf adressieren, oder sollen auch Emotionen und Bedürfnisse des anderen Mit berührt sein?

Wenn ich letzteres vorhabe, habe ich ab einer bestimmten Zahl von Menschen, mit denen ich arbeite, erneut ein Problem: Ein Stockwerk tiefer kann ich nur arbeiten, wenn ich dabei selbst gut mit dieser Ebene bei mir selbst in Kontakt bin.

Wenn ich mich also permanent ähnlich gut um mich kümmere. Die instinktive Wahrnehmung von Kunden ist ziemlich ausgeprägt, wo wir da mit uns selber stehen und kann auch durch professionelle Schauspielerei nicht getäuscht werden.
Wir kennen das von Haustieren und kleinen Kindern: Die interessiert unser tolles Gelaber auch nicht, die spüren: Wo ist jemand für mich offen / wo kann ich mir die Interaktion sparen.

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Wir vereinfachen das oft zu: „Der kann halt mit Kindern/Tieren/Menschen, und ich nicht“, aber leider leider kann man tatsächlich etwas dafür machen, dass man sich auf dieser Ebene von Interaktionen sicherer bewegt: Man kann SEHR gut für sich sorgen.

Einer meiner Kunden, ein 60 Jähriger Mitarbeiter der Stadt München, der sich „im Zweitberuf“ als semi-professioneller Zauberer betätigte, hat mich da mal aufgeklärt: „Kinder sind für einen Zauberer das anspruchsvollste Publikum – Die schauen einfach weiter dahin, wovon man sie als Zauberer ablenken will, damit der Trick funktioniert.“

Mit diesen inneren Kindern bei seinen Kunden hat zu tun, wer bewusst auf emotionaler Ebene arbeitet. Will man die Qualität seiner Arbeit steigern, wird man also selber regelmäßig mit sich zu tun haben. Brené Brown bringt das ganz am Ende ihrer Kurz-Animation Power of empathy recht gut auf den Punkt: „Go to a place inside yourself that knows that feeling“

Und wer von uns spürt nicht, wie verlockend es ist, die Wahrnehmung eigener peinlicher, schmerzhafter, beängstigender Gefühle systematisch zu vermeiden?

Das ist neben ungünstigen Rahmenbedingungen der häufigste Grund, warum die meisten von uns Coaches, Therapeuten, Beratern, Vertrieblern, Key-Accountern, Pflegern, HRlern, Ärzten, Führungskräfte, Erziehern, Personaldienstleistern und Lehrern den echten Kontakt mit den uns anvertrauten Menschen vermeiden: Es wäre emotional einfach nicht immer super-duper lustig und angenehm für uns.
Stattdessen managen wir lieber andere Menschen. Das hält sie auf für uns emotional angenehmen Abstand. Lassen wir sie – wirklich sie – an uns heran, erinnern sie ganz unvermeidlich und zwangsläufig an Dinge, an die wir von ihnen nicht erinnert werden wollen.

Nicht in einem professionellen Kontext, in dem es ja auch unsere Rolle ist halt zu geben, Fels in der Brandung sein, die Schulter zum Anlehnen, eine feste Säule des Unternehmens, immer kompetent, immer sicher, immer klar, immer eine menschentleerte Hülle.

Wie gesagt: Andere Menschen können nahezu immer sehr deutlich spüren, was wir mit uns selbst machen. Und reagieren dann darauf. Bestimmte Dinge werden sie uns dann einfach nicht mehr zumuten.
Und das ist ja auch ganz in Ordnung, wenn das unser Ziel war: Von der Menschlichkeit unserer Kunden, Mitarbeiter, Klienten und Patienten verschont zu bleiben.

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